Ken Bos


RÄUBERTEXT


(1995)


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Die Luft hatte endlich den schmeichelnden Charakter bekommen, auf den Josef schon seit Wochen gewartet hatte. Er fühlte sich gut in der Abendluft. Neben ihm die zwei Frauen, die sich leise über dies und das unterhielten, mit angenehmen Stimmen. Stimmen, die nicht zum Zuhören zwangen. Das Glas Orvieto vor ihm war leer. Seine Gedanken gingen mit den Augen spazieren. Am Haus gegenüber, im dritten Stock reizte das helle Fenster. Eine weiße Gardine davor. Auf der Gardine gingen Schatten spazieren.

Das Licht verlöschte nach kurzer Zeit in diesem Zimmer. Die beiden Frauen zu seiner rechten Seite zahlten und gingen. Die Kirchturmspitze der nahe gelegenen Kirche verglühte in der Abendsonne in süditalienischem Barock. Die Häuser gegenüber: schrottreifer Berliner Realismus zu blauer Stunde. Einige Fenster flimmerten im Sendertakt. Josefs Blicke wanderten mit seinen Gedanken zum Abendhimmmel. Fernsehantennen überall.

Eine Frauenstimme begann zu sprechen, so viel lauter und aufdringlicher als die Stimmen zuvor. Seine Gedanken wurden mitgerissen zum Elektroschweißen von Hochbetten, zu kackbreiiger Hundescheiße und zum wochenendweise einladenden Thomas mit echt netter, aber dich einfach totquatschender Mutter. Die Stimme erinnerte ihn an die rheinländische Maria, mit ihrer lautfröhlichen, ihn von seinen eigenen Gedanken abhaltenden Stimme. Einkaufsdetails einer Balkongrillparty wurden aufgezählt, während der Abendhimmel sich zum Blauschwarz wandelte. Fluchtwege nach Hamburg und Kiel wurden abgeglichen. Aufgrund der wegen Christo proppevollen Stadt. Zu bedenken waren dabei Holgers Zeitplanungen, einschließlich gestelltem Essen und Getränkegeldregelung. Und der Kaffeeklüngel, der einzeln zwar ganz nett war - Holger und seine Saufkumpel wurden wie Micha, der Busenfreund, durch die Mangel gedreht.

Während die eine Frau - so unentrinnbar laut - weiter tönte, blies die andere, jüngere, freche Erstzugsschwaden in die Abendluft. Heute rauchen nur Frauen, dachte Josef. Mit Bernd am Wochenende tanzen zu gehen, war der dann beim folgenden langsamen Aushauchen des Rauchs liebevoll ausgesprochene Wunsch.

Wie einfach die Beziehung sein kann. Im Neonlicht, das nun aus dem heller werdenden Innern des Cafés über die draußen Sitzenden fiel, blitzten zu seiner Linken weiße Zähne auf. Die Reste der Himmelsbläue verschoben sich Richtung Nordwesten, ein schwereres Grauschwarz füllte den südlichen Himmel.

Der Orvieto wirkte, die warme Schärfe des Kicks füllte seinen Bauch. Er atmete tief und hängte seinen Blick an die vorübergehende Frau mit den zwei schweren Plastiktüten. Sie musste die Tüten etwas vom Körper fernhalten, um nicht bei jedem Schritt angependelt zu werden.

Die Dreiergruppe, die sich dann zu seiner Linken an den Tisch setzte, eine junge Frau von vielleicht dreißig und zwei Männer von fünfundzwanzig und fünfunddreißig, trieben seine Gedanken, die sich nach Japan verflüchtigt hatten, zurück in die hiesige Abendluft. Die junge Frau zwang den 35-Jährigen, ihre Jacke anzuziehen. Er hätte lieber mit den anderen in das Lokalinnere gehen wollen. Ihm war es hier draußen zu kalt. Der 35-Jährige redete vom "Ommmm", die anderen lächelten dazu. Die 30-Jährige und der 35-Jährige drehten Zigaretten aus würzigem Tabak. Der Geruch breitete sich nach dem Anzünden der Zigaretten aromatisch in die Abendluft aus. Es rauchen nicht nur Frauen, dachte Josef.

Er bestellte einen weiteren Orvieto. Die jean-sebergische Serviererin verbesserte ihn lächelnd auf "Einen weiteren Chardonnay?" was ihm sehr imponierte.

Der kleine Baum rechts vom Lokal hatte bisher nur wenig Grün gebildet. Eine hochgewirbelte weiße Plastiktüte baumelte als kleiner Wimpel in seiner Krone. Rechts von ihm wurden Wäsche- und Reinigungsprobleme besprochen. Bei Jeans wird alles voll rot. Denn da biste halt nicht so gut drauf. Da muss'de echt mal weg. Seine Augen und Ohren pendelten hin und her. Die Reinigungsprobleme gewannen immer wieder seine Aufmerksamkeit, wegen der schieren Lautstärke.

Der bei den Dreien links servierte Espresso schmeichelte seiner Nase. Sein Chardonnay-Orvieto wurde - ohne Lächeln --- ohne freundliche Ansage - auf dem Tisch vor ihm abgestellt. Nicht unter hundert Mark waren rechts die Hüte für die Jeansjacke zu bekommen. Unbedingt brauchte sie einen solchen, und trotz umfangreicher Anproben war noch keiner ihrer Gefallensgnade gerecht geworden. Links wurde die Vecchia gegen das Becks in der Flasche geklingelt, der 35er hauchte seinen frischen Schnaps-Atem liebevoll gegen die junge Frau, die es sichtlich genoss. Die folgenden Diskurse über Wodka und andere Alkoholika waren aber sehr langweilig. Nur die Stimme des 25-Jährigen, der wie ein Lotterpunk aussah, aber so fein sprach, ließ aufmerken. Er hatte die blonden Haare fast völlig geschoren, nur ein zierlicher Irokesenscheitel stand über dem nackten Schädel. Das Ergebnis kalifornischer Studien unter Biertrinkern, dass Schnapssaufen scheußlich sei, war dem jungen Mann erkennbar lieb. Die anderen beiden stimmten versonnen lächelnd zu.

Josef fühlte sich müde und überlegte, ob er schon nach Hause gehen sollte. Er beschloss aber zu bleiben. Der Himmel stand tief blauschwarz über den Hausgiebeln.

Der 25-Jährige hob zierlich die Becks an die Lippen und hörte dem 35-Jährigen, der gerade seine zweite Zigarette anleckte, zu. Goethe, Leibniz und "Jemand mit L" wurden als die letzten Universalwisser kolportiert, die Unfähigkeit der Zeitgenossen zum Univeral-Genietum mit ernster Miene bedauert.

Der 25-Jährige beobachtete Josef plötzlich genauer. Sah, wie Josef mit den Daumen hektisch die Buchstaben der erräuberten Wortfetzen in die unmögliche Gummitastatur hämmerte. Ein "Ist das der kleinste Laptop?" schob der junge Mann mit einem gewinnenden Lächeln zu ihm herüber. "Kann sein", antwortete Josef und freute sich über die aufmerksame Anteilnahme.

Josef fragte sich, was wohl die Eltern des 25-Jährigen von ihrem Sohn wüssten. Am rechten Tisch wurden immer noch langweilige Arbeitsplatzprobleme mit Fax und Krankschreiben, mit bescheuerter Bilanzterminierung am Freitag, mit Sachen bei der Krankenkasse für Arbeiter, die immer erst nach sechs Wochen kämen und die ein gewisser Kollege nie richtig gebucht habe. Solche Sätze langweilten.

Der hübsche 25er strahlte seine weißen Zähne zur 30-Jährigen. Vorn, auf der Straße, schlenderte Rambo, den Nylonstrumpf über die schütteren Haare geknotet, freundlich grinsend vorbei. Rechts nur noch Stöhnen über die Nerverei der Buchhaltung. Der 35er gab der 30-Jährigen die Jacke zurück. Es war ihr kalt geworden. Der Himmel war gänzlich schwarz. Darunter flimmerte noch ein Fenster im Fernsehtakt. Der 35-Jährige hatte seine Hand auf dem Knie der 30-Jährigen platziert, sein Daumen massierte in kleinen, langsamen Kreisbewegungen das Innere der Schenkel.

Josef lehnte mit einem freundlichen Lächeln die Rosen des tamilischen Rosenverkäufers ab. Die Schläge der Kirchenglocken vibrierten in seinem Hinterkopf. Josef schaute sich um. Er beschloss, nach Hause zu radeln.

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